Leben und Tod sind untrennbar miteinander verbunden. Verlassen uns geliebte Angehörige, ist Trauer eine gesunde Reaktion, um den Verlust zu verarbeiten. Der Trennungsprozess verläuft in bestimmten Phasen. Dennoch ist er von Mensch zu Mensch verschieden. Manchmal kann Trauer auch krank machen. Wer trauert, hat oftmals nicht nur seelische, sondern auch körperliche Schmerzen.
Trauer fühlt sich für jede Person unterschiedlich an. Häufig begleitet den intensiven Trennungsschmerz eine starke Sehnsucht nach der verstorbenen Person.1 Schock, Starre, Gefühlstaubheit, starke Müdigkeit und Erschöpfung, überwältigende Traurigkeit, häufiges Weinen, Schuldgefühle, Wut und Ärger können ebenfalls Teil des Verarbeitungsprozesses sein. Wichtig ist: Es gibt keine richtige oder falsche Art, mit einem Verlust umzugehen. Es ist auch in Ordnung, nicht zu trauern.2
Abschiednehmen verläuft nach keinem bestimmten Plan: Der Ablauf und die dafür benötigte Zeit ist bei jedem Menschen unterschiedlich. Sogenannte Phasenmodelle, wie die Schweizer Psychologin Prof. Dr.phil. Verena Kast sie entwickelt hat, bieten Anhaltspunkte, wie der Trauerprozess erlebt wird. Die Phasen laufen dabei nicht strikt hintereinander ab, sondern gehen fließend ineinander über oder können sich überschneiden und wiederholen.2
Zu Beginn eines Trauerprozesses oder einer Krise macht sich ein inneres Chaos breit. Man steht unter Schock, ist innerlich wie gelähmt und redet sich ein, der Tod des geliebten Menschen sei nur ein böser Traum.
Man kann den Verlust nicht mehr verdrängen und die Realität sickert langsam ins Bewusstsein. Da diese Realität oft schwer zu begreifen und sehr belastend ist, folgen intensive, sich auch widersprechende Gefühle wie Kummer, Wut, Angst, Hilflosigkeit, Schuld und Sehnsucht. Es treten aber auch Momente der Dankbarkeit für die gemeinsame Zeit oder sogar Freude auf.
Hier beginnt die Trauerarbeit im engeren Sinn und der Ausweg aus der Krise. Erinnerungen an die geliebte Person werden wach und in Gesprächen mit Anderen wiederbelebt. Dadurch wird der Verlust zunehmend akzeptiert. Gleichzeitig beginnt die Suche nach Lösungen, mit denen man die Krisensituation bewältigen kann. Es ist eine Phase der Rückbesinnung auf sich selbst und auf das was bleibt.
Hier wird erkannt, dass das Leben weitergeht. Beziehungen zu Familienmitgliedern oder Freund*innen werden besonders kostbar, neue Freundschaften werden geknüpft – mit widersprüchlichen Gefühlen. Einerseits besteht der Wunsch, neue Bezugspersonen zu finden. Andererseits hat man Angst davor, sich ganz einzulassen. In dieser letzten Phase ist eine Neuausrichtung – hin zu einer positiven Zukunft – möglich.
Ein erlebter Verlust wird nicht nur psychisch, sondern auch körperlich wahrgenommen. Trauer selbst ist zwar keine Krankheit, allerdings ist sie mit einer erhöhten Anfälligkeit für Erkrankungen und sogar mit einem gesteigerten Sterblichkeitsrisiko verbunden. Insbesondere tritt dies in den ersten Wochen und Monaten nach dem Verlust auf.4
Reaktion |
Symptome |
affektive (emotionale) Reaktionen |
Depression, Verzweiflung, Niedergeschlagenheit, Schmerz |
kognitive (verhaltenssteuernde) Reaktionen |
bedrohliche, immer wieder kehrende Gedanken an den Toten, Grübeln |
verhaltensbezogene Reaktionen |
Aggressivität, Angespanntheit, Ruhelosigkeit |
Physiologische (körperliche) Reaktionen |
Appetitlosigkeit |
Quelle: Strobe, M., Schut, H., Stroebe, W. (2007): Health outcomes of bereavement. Lancet 2007; 370: 1960-1973
Rund vier Prozent der Hinterbliebenen benötigen überdurchschnittlich lange, um den Tod eines engen Angehörigen zu verarbeiten.5 Sie trauern mitunter jahrelang und sehnen sich nach den Verstorbenen. Von der sogenannten pathologischen oder komplizierten Trauer spricht man frühestens sechs Monate nach einem Verlust. Sie unterscheidet sich von anderen psychischen Erkrankungen, aber kann auch in eine manifeste psychische Erkrankung münden: Beispiele dafür sind Depression (ca. 50%), Angststörung (ca. 40%) und ein posttraumatisches Belastungssyndrom (ca. 40%).6,7 Die verlängerte Trauerstörung (prolonged grief disorder) wurde letztes Jahr daher als eigenständige Erkrankung in die internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) aufgenommen.8 Sie ist durch schwere, anhaltende und behindernde Trauer gekennzeichnet.
Ein krankhafter Verlauf kann nicht allein psychische Probleme mit sich bringen, sondern auch physiologische Parameter verändern: erhöhter Herzschlag und erhöhter Blutdruck, erhöhter Kortisolspiegel (ein Stresshormon), Schlafstörungen oder Auswirkungen auf das Immunsystem. Dazu können Gewichtsverlust, Schmerzen und vermehrte allgemeine körperliche Beschwerden oder ein erhöhtes Herzinfarkt-Risiko kommen.4
Auch das so genannte „Broken-Heart-Syndrom“ lässt sich mit Trauer in Verbindung bringen: Dabei handelt es sich um eine Erkrankung des Herzmuskels, die mit Beschwerden einhergeht, die einem Herzinfarkt ähneln.10
Wer nach sechs Monaten weiterhin im Trauerprozess gefangen und von psychischen und physischen Beschwerden im Alltag beeinträchtigt ist, sollte sich professionelle Hilfe für die Bewältigung des Todesfalls suchen. Beispiele dafür sind eine Therapie oder eine Selbsthilfegruppe. Familienmitglieder und Freund*innen können ebenso eine große emotionale Stütze während der Trauerarbeit sein.1,2
Eine erste Anlaufstelle können beispielsweise die Angebote der Caritas sein.
Quellen:
1 Gratz, B. (2020): Trauer bewältigen. URL: https://www.gesundheit.gv.at/leben/psyche-seele/psychische-belastungen/trauer (Letzter Zugriff: Dezember 2024)
2 Wagner B (2016): Wann ist Trauer eine psychische Erkrankung? Trauer als diagnostisches Kriterium in der ICD-11 und im DSM-5. In: Psychotherapeutenjournal , 3/2016, S.250-255.
3 Kast, V. (o.J.): Natürliche Trauer - komplizierte Trauer. URL: https://www.psychotherapie-wissenschaft.info/index.php/psywis/article/view/227/410 (Letzter Zugriff: Dezember 2024)
4 Kersting, A., Steinig, J. (2015): Anhaltende komplexe Trauerreaktion – ein neues Krankheitsbild? In: PSYCH up2date 09/2015, S.281-295.
5 Kersting, A., Brähler, E., Glaesmer, H. et al. (2011): Prevalence of complicated grief in a representative population-based sample. In: Affect Disord 131/2011, S.339-343.
6 Fujisawa, D., Miyashita, M., Nakajima, S. et al. (2010): Prevalence and determinants of complicated grief in general population. In: Affect Disord 127/2010, S.352-358.
7 Shear, M., Simon, N., Wall, M. et al. (2011): Complicated grief and related bereavement issues for DSM-5. In: Depress Anxiety 28/2011, S.103-117.
8 Maarten, C. et al. (2020): ICD-11 Prolonged Grief Disorder Criteria: Turning Challenges Into Opportunities With Multiverse Analyses. In: Front Psychiatry 11/2020, S.752.
9 Simon, N. (2013): Treating complicated grief. In: Am Med Assoc 310/2013, S.416-423.
10 Steckfuß, K. (2017): Gebrochenes Herz – erste Hilfe in Sicht. https://dzhk.de/aktuelles/news/artikel/gebrochenes-herz-erste-hilfe-in-sicht/ (Letzter Zugriff: Dezember 2024)
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