Anstatt Krebszellen isoliert zu betrachten, wenden Krebs-Forscher*innen jetzt Konzepte aus der Ökologie an: Sie erforschen den Zusammenhang zwischen Krebszellen und Gewebe, Körperzellen und Blutgefäßen aus der lokalen Umwelt des Tumors. Denn oft sind es gerade Faktoren aus der direkten Umgebung, die Krebszellen besonders viel und schnell wachsen lassen.
Wie schwer eine Krebserkrankung einzustufen ist, wird oft anhand des Stadiums der Erkrankung beurteilt. Ein weiter fortgeschrittenes Stadium bedeutet, dass der Tumor nicht mehr isoliert am Entstehungsort vorliegt, sondern sich über Blut- oder Lymphgefäße im Körper ausgebreitet und Metastasen gebildet hat.
Anhand bestimmter Kriterien können Krebserkrankungen in unterschiedliche Stadien eingeteilt werden. Mit Hilfe dieser Stadien kann der Arzt, die Ärztin einschätzen, wie schwer die Krebserkrankung ist und wie hoch die Chance auf Heilung sein könnte. Außerdem helfen die einzelnen Stadien dem Arzt, der Ärztin dabei zu entscheiden, welche Therapie für den/die Patient*in am besten geeignet sein kann. Um das Krebsstadium zu bestimmen, gibt es zahlreiche und komplexe Systeme. Das einfachste System teilt Krebserkrankungen in 5 Stadien ein:
Auffällige Zellen sind vorhanden, haben sich aber noch nicht in umliegendes Gewebe ausgebreitet. Diese Zellanomalie wird auch als carcinoma in situ (CIS) bezeichnet. Bei CIS handelt es sich nicht um Krebs, es kann sich aber zu einer Krebserkrankung entwickeln.
Es liegt eine Krebserkrankung vor. Je höher die Nummer des Stadiums, umso größer ist der Tumor und umso weiter hat er sich in umliegendes Gewebe ausgebreitet.
Der Krebs hat sich bereits in andere Teile des Körpers ausgebreitet und dort Metastasen gebildet.
Diese Sichtweise auf Krebserkrankungen ändert sich aber zunehmend: Für Wissenschafter*innen steht nicht nur mehr das Stadium der Krebserkrankung im Fokus ihrer Forschung, sondern zunehmend auch die unmittelbare Umgebung des Tumors. Denn Gewebe, Zellen des Immunsystems und Blutgefäße rund um die Tumorzellen können großen Einfluss darauf haben, wie schnell und aggressiv eine Krebserkrankung fortschreitet. Die Krebszellen lassen sich dabei mit einem Pflanzensamen vergleichen, der nur in nährstoffreichem Boden gedeihen kann.
Da Tumorzellen sehr anpassungsfähig sind, haben sie sich einige gute Überlebensstrategien zugelegt, um immer ausreichend mit Nährstoffen versorgt zu sein. Bei ihrem Kampf ums Überleben sind Tumorzellen ziemlich kompromisslos: Entweder stehen sie mit anderen Zellen ihrer direkten Umgebung im Konkurrenzkampf um Nährstoffe oder sie arbeiten mit den benachbarten Zellen zusammen, um ihr eigenes Überleben zu sichern.
Da dem Immunsystem eine wichtige Rolle im Kampf gegen Krebs zukommt, haben es Tumorzellen vor allem auf Zellen des Immunsystems abgesehen - wie etwa auf die T-Zellen. Denn T-Zellen erkennen Tumorzellen und vernichten die entarteten Zellen. Um sich vor den Angriffen der T-Zellen zu schützen, produzieren Krebszellen eine Reihe an chemischen Stoffen, die das Wachstum und die Funktion von T-Zellen hemmen. In der Folge sind die T-Zellen nicht mehr in der Lage, die Tumorzellen aktiv zu bekämpfen.
Außerdem brauchen Krebszellen viel Zucker (Glukose), um zu wachsen und um sich zu vermehren. Damit stehen sie mit T-Zellen in einem direkten Konkurrenzkampf um diesen Nährstoff. Denn um Krebszellen anzugreifen, brauchen T-Zellen ebenfalls ausreichend Glukose. Doch Tumorzellen verbrauchen meist selbst schon so viel Glukose, dass der Nährstoff für T-Zellen knapp wird. Haben T-Zellen nicht ausreichend Glukose zur Verfügung, können sie nicht mehr in ihrer aktivierten Form bestehen und Krebszellen bekämpfen.
Metabolic Hijacking ist eine weitere hinterlistige Strategie der Krebszellen: Dabei wird ein bestimmter Zelltypus - in der unmittelbaren Umgebung der Krebszellen - von den Tumorzellen „gezwungen“, Stoffwechselprozesse umzustellen. Die daraus resultierenden Stoffwechselprodukte dienen den Tumorzellen dann als Nahrung. So sind sie kontinuierlich mit Nährstoffen versorgt und wachsen ungebremst.
Neue Therapieformen setzen nun bei der direkten Umgebung des Tumors an: Diese Umgebung soll so verändert werden, dass für den Krebs nur mehr ein unwirtliches Umfeld zurückbleibt, in der Krebszellen nicht überleben können.
Sogenannte Checkpoint-Inhibitoren waren die ersten Medikamente, bei denen dieses Konzept erfolgreich umgesetzt wurde: Manche Krebszellen können einen bestimmten Signalweg in den T-Zellen aktivieren, wodurch die T-Zellen nicht mehr gegen den Krebs ankämpfen können. Verhindert man aber, dass sich Tumorzellen in diesen Signalweg einmischen, bleiben die T-Zellen weiterhin aktiv und gehen gegen die Tumorzellen vor. Allerdings sprechen nicht alle Patient*innen auf diese Therapie an. Der Grund: Tumorzellen verlassen sich nicht nur auf eine Taktik, sondern sichern ihr Überleben durch eine Vielzahl an komplexen Strategien. Folglich sind Checkpoint-Inhibitoren auch nur bei manchen Patient*innen wirksam.
Daher wird aktuell an neuen Krebstherapien geforscht, die auch gegen andere Überlebensstrategien der Tumorzellen vorgehen sollen: Ein Forscher*innenteam verfolgt den Ansatz, bestimmte Mikronährstoffe für Zellen des Immunsystems wieder verfügbar zu machen. Eine andere Möglichkeit ist, die Freisetzung bestimmter Stoffwechselprodukte von Krebszellen zu verhindern. Denn diese Stoffwechselprodukte können das Immunsystem unterdrücken und so den Krebs vor der körpereigenen Abwehr schützen.
Aufgrund der hochkomplexen Wechselwirkungen in der unmittelbaren Umgebung von Krebszellen gestaltet sich die Suche nach Behandlungsmethoden von Krebserkrankungen immer noch als große Herausforderung. Daher wird es auch zukünftig notwendig sein, bestimmte Sichtweisen in Frage zu stellen und transdisziplinäre Konzepte zu erarbeiten und zu erforschen, um so neue Ansatzpunkte für Behandlungen von Krebs zu finden.
Quellen:
National Cancer Institut (2015): Cancer Staging. URL: https://www.cancer.gov/about-cancer/diagnosis-staging/staging (zuletzt abgerufen am 12.01.2024)
Gupta S, Roy A, Dwarakanath BS. Metabolic Cooperation and Competition in the Tumor Microenvironment: Implications for Therapy. Front Oncol. 2017 Apr 12;7:68. doi: 10.3389/fonc.2017.00068.
Wilde L, Roche M, Domingo-Vidal M, Tanson K, Philp N, Curry J, Martinez-Outschoorn U. Metabolic coupling and the Reverse Warburg Effect in cancer: Implications for novel biomarker and anticancer agent development. Semin Oncol. 2017 Jun;44(3):198-203. doi: 10.1053/j.seminoncol.2017.10.004.
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