Evelyn Groß ist 17 Jahre alt, als sie die Diagnose bekommt, die ihr Leben auf den Kopf stellt: Chronisch entzündliche Darmerkrankung (CED).
Colitis ulcerosa und Morbus Crohn zählen zu den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Welche Einschränkungen mit einer solchen Diagnose einhergehen, ahnt Evelyn Groß zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Sowohl bei Colitis ulcerosa als auch bei Morbus Crohn kommt es zu chronischen Entzündungen im Verdauungstrakt. Die Beschwerden können sich ähneln, in ca. 10% der Fälle ist keine genaue Unterscheidung möglich: Morbus Crohn kann den gesamten Verdauungstrakt betreffen – vom Mund bis hin zum After. Das bedeutet für die Patient*innen Entzündungen, Engstellen, Fisteln und Geschwüre. Colitis ulcerosa hingegen tritt nur im Dickdarm auf. Die Ausbreitung erfolgt meistens vom untersten Ende des Dickdarms aus (Proktitis). Wird die Krankheit nicht rechtzeitig behandelt, kann sie sich auf den gesamten Dickdarm ausbreiten (Pancolitis).
„Es klingt komisch, aber ich hatte bei der Diagnosestellung einigermaßen Glück“, sagt Evelyn Groß rückblickend. Denn die Herausforderung für Ärzt*innen ist es, die Beschwerden wie Müdigkeit, Bauchschmerzen, Durchfall oder Verstopfung als Symptome einer chronischen Entzündung im Verdauungstrakt zu erkennen. Die Verwechslungsgefahr mit anderen, „alltäglichen“ Erkrankungen ist hoch.
Groß’ CED-Erkrankung beginnt Anfang der 1990er-Jahre mit blutigen Durchfällen. Ihr Arzt handelt entschieden und schickt sie zu einem Spezialisten weiter, der die Diagnose Colitis ulcerosa stellt. Bei den wenigsten Betroffenen erfolgt die Diagnose so rasch. Die meisten pilgern über längere Zeiträume zu verschiedenen Ärzt*innen, bis eine Stuhl- oder Blutprobe Gewissheit bringt.
Wie viele Menschen in Österreich mit CED leben, ist nicht konkret erfasst. Rechnet man die Zahlen von Ländern mit einer guten Datenlage auf Österreich um, müssten es hierzulande bis zu 80.000 Betroffene sein. Und noch mehr, wenn man bedenkt: Auch in den Ländern mit offiziellen Zahlen ist nicht jede Erkrankung erfasst, weil viele Betroffene nie die richtige Diagnose bekommen.
Evelyn Groß erzählt, wie sich ein Leben mit CED anfühlt: „Man spricht natürlich nicht über die Verdauung, die Ausscheidung. Das ist heutzutage noch ein Tabuthema. Das heißt, man glaubt, man ist alleine.“
„Ich hab gewusst, dass du das schaffst. Dass es zwar ein paar Einschränkungen gibt, aber dass du so eine starke Persönlichkeit hast und diese Einschränkungen überwinden kannst,“ erinnert sich der Sohn von Evelyn Groß daran, als er das erste Mal von ihrer Erkrankung erfuhr.
Univ.Prof. Dr. Harald Vogelsang, ehemaliger Leiter der Ambulanz für CED am AKH Wien, möchte allen von CED betroffenen Patient*innen Mut machen: „Man kann wirklich vielen Menschen sehr gut helfen, indem man die Entzündung zum Teil auch völlig zum Abheilen bringt und so eine sehr gute Lebensqualität erreichen kann.“
Evelyn betont: “Allen Betroffenen möchte ich mitgeben, dass sie mit so einer Diagnose nicht aufgeben sollen zu kämpfen und sich bestmögliche Unterstützung holen sollen.“
Univ.Prof. DI. Dr. Harald Vogelsang
Professor Vogelsang - ehem. Leiter der CED-Ambulanz am AKH Wien und medizinischer Beirat des CED-Kompass - führt weiter aus: „Die Diagnose einer CED bedeutet eine völlige Änderung der Lebensumstände. Die Betroffenen wissen, dass sie unter einer Erkrankung leiden, die jederzeit Beschwerden machen kann.“ Wie sehr die Erkrankung in das Leben eingreift, hat auch Evelyn Groß gelernt. Ihr Leben wird oft von der Krankheit dirigiert. Ihren Tag kann sie selten planen, sie muss kurzfristig Verabredungen absagen. Egal, wo sie ist – ihr Blick sucht immer nach der nächsten Toilette. Neben den körperlichen Beschwerden leiden Betroffene an den Auswirkungen auf ihr Sozialleben. Unterkriegen lässt sich Evelyn Groß jedoch nicht. Sie bringt trotz Erkrankung einen Sohn zur Welt. Die Lebensfreude lässt sie sich von ihrer Erkrankung nicht nehmen.
„Seit dem Jahr 2000 hat es eine rasante Entwicklung in den Therapiemöglichkeiten gegeben. Durch neue Therapien kann man vielen Menschen helfen und ihnen eine wirklich gute Lebensqualität ermöglichen,“ bestätigt auch Professor Vogelsang. Die Forschung hat in den letzten Jahren vehement an neuen Lösungen für Betroffene gearbeitet. Die Therapien werden zielgerichteter und mit jeder neuen Errungenschaft wird der Alltag der Betroffenen leichter.
Trotz aller neuen Forschungsansätze und Therapien sind Erkrankungen der Verdauungsorgane nach wie vor ein Tabuthema. Dagegen kämpft Evelyn Groß als Präsidentin der ÖMCCV– der Österreichischen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa Vereinigung.
„Mit all den Gesichtern von Colitis ulcerosa und den derzeitigen Angeboten an Therapien sind Betroffene oft auf sich selbst gestellt und man kommt sich wie ein Exot vor“, sagt Groß. Die Vereinigung ermöglicht Betroffenen den Austausch. Sie ist auch mitverantwortlich für die Einrichtung des CED-Kompass, einem Online-Wegweiser, der allen Patient*innen umfassende Informationen zum Leben mit CED bietet. Die Seite ist eine Anlaufstelle für alle Betroffenen. Neben verschiedenen Informationen bietet der Kompass eine Hotline an, unter der Betroffene sich von ausgebildeten CED-Schwestern beraten lassen können.
Die vergangenen Jahre waren für Evelyn Groß von Höhen und Tiefen geprägt: „Natürlich gab es schlechte Phasen, wo ich eingeschränkt war.“ Doch so habe sie gelernt, auf sich selbst zu hören.
Über CED
Als CED werden chronische, entzündliche, nicht-ansteckende Erkrankungen des Verdauungstrakts bezeichnet.
Am häufigsten sind Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Während Morbus Crohn den gesamten Verdauungstrakt betreffen kann, tritt Colitis ulcerosa ausschließlich im Dickdarm auf.
Am häufigsten tritt die Erkrankung bei Menschen erstmals zwischen dem 20. bis 35. Lebensjahr auf – wobei Frauen und Männer zu gleichen Teilen betroffen sind.
In Österreich leiden bis zu 80.000 Menschen unter CED.
Symptome
CED-Symptome umfassen eine große Bandbreite an unterschiedlichen Beschwerden, die abhängig vom Schweregrad der Erkrankung variieren können. Bei einem Teil der Betroffenen setzt die Krankheit schleichend ein – bei manchen Patient*innen beginnt sie gleich mit schweren Symptomen. Typisch für CED ist, dass die Erkrankung in Schüben verläuft.
Zu den typischen CED-Symptomen gehören:
Ursachen
Die genaue Ursache ist bis heute noch unklar. Forscher*innen und Ärzt*innen glauben, dass die Entstehung dieser chronischen Erkrankung mit einer überschießenden Immunantwort auf eine Infektion durch Bakterien oder Viren verbunden sein könnte, begünstigt durch eine verschlechterte Barriere zwischen dem Inneren des Darms und der Darmwand. Genetische und Umwelt-Einflüsse können ebenso eine Rolle spielen wie das Alter. Falsche Ernährungsgewohnheiten, Stress und Rauchen können ebenfalls eine Rolle für das Ausmaß der Symptome spielen.
Diagnose
Die Diagnosestellung gliedert sich in drei Schritte.
Anamnese
Besprechen Sie Ihre Beschwerden offen mit Ihrem behandelnden Arzt, Ihrer behandelnden Ärztin. Bereiten Sie sich auf das Arztgespräch vor, indem Sie folgende Fragen beantworten:
Wie lange haben Sie die Beschwerden schon?
Wie häufig müssen Sie die Toilette aufsuchen?
Wie fest oder flüssig ist Ihr Stuhl?
Haben Sie Blut im Stuhl?
Haben Sie Schmerzen?
Haben Sie andere Symptome wie Gelenkschmerzen, Haut- oder Augenpropbleme?
Laborwerte
Ihr Blut und Stuhl wird untersucht, ob darin bestimmte Anzeichen für Entzündungen zu finden sind. Außerdem werden Stuhlkulturen angelegt, um eine Infektion als Ursache für den Durchfall ausschließen zu können.
Bildgebende Verfahren
Neben der Laboruntersuchung können noch verschiedene bildgebende Methoden angewandt werden. Dazu zählen unter anderem eine Magen- oder Darmspiegelung. Aber auch Ultraschall und Computertomographie werden angewendet.
Therapie
Mit geeigneter Therapie können CED-Patient*innen trotz Krankheit eine sehr hohe Lebensqualität erreichen. Schmerzen und Symptome können mit modernen Behandlungsformen gemildert werden und Patient*innen so über einen längeren Zeitraum beschwerdefrei leben.
Ziele der CED-Therapie sind:
Symptome lindern
Beschwerdefreiheit erreichen (Remission)
Entzündung reduzieren und eine Normalisierung der Darmschleimhaut erreichen
Lebensqualität verbessern und erhalten
Zur Therapie stehen verschiedene Medikamente zu Verfügung in Form von lokal anwendbaren Zäpfchen, Einläufen oder Schaum, Tabletten, Granulaten oder auch subkutanen Spritzen und Infusionen. Gemeinsam mit dem Behandlungsteam wird die am besten geeignete Therapie ausgewählt und je nach Krankheitsverlauf und Symptomen angepasst.
Quelle:
CED-Kompass, https://ced-kompass.at/dein-wissen/ (letzter Zugriff November 2024)
Der CED-Kompass ist Österreichs größte Info- und Serviceplattform für Betroffene von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Der CED-Kompass ist eine Initiative der ÖMCCV. Mit einer Reihe von kostenfreien Services, wie z.B. der CED-Helpline, dem TELEGRAM-InfoChannel oder dem regelmäßigen CED-Newsletter steht der CED-Kompass den Betroffenen von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa als Orientierungshilfe zur Verfügung.
Die ÖMCCV (Österreichische Morbus Crohn-Colitis Ulcerosa Vereinigung) ist eine Initiative zur Selbsthilfe von Betroffenen für Betroffene mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED). Ziel ist es, dem/der Einzelnen zu mehr Lebensqualität zu verhelfen. Interessierte erhalten hier neben persönlicher und telefonischer Beratung Informationen über Krankheitsverlauf und -folgen sowie Vorträge von Ärzt*innen/Spezialist*innen und Arzt-Patientenseminare.
Die CED-Initiative Österreich Darm Plus wurde 2011 gegründet. Seit dieser Zeit tragen viele Veranstaltungen oder Awareness-Events das Zeichen von Darm Plus.
Podcastreihe "Verrücktes Immunsystem"
Haben innere Konflikte und Stress eine Auswirkung auf die Erkrankung?
Wie komme ich zu einer Diagnose?
Hören Sie hinein in unsere Podcasts zu Themen über das Leben mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED). Bei „Verrücktes Immunsystem“ spannen wir den Bogen über Fragen und Antworten, die Betroffenen Orientierung für ein selbstbestimmtes Leben geben. Wir verbinden Sie dafür virtuell mit Österreichs Top Expert*innen und Wissenschaftler*innen.
In der ersten Folge sprechen Österreichs CED Experten Univ. Prof. Dr. Clemens Dejaco und Dr. Thomas Haas über die Diagnosen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Welche Unterschiede gibt es? Welche Therapiemöglichkeiten werden angeboten? Ist ein weitgehend normaler Alltag möglich und welche langfristigen Hilfestellungen können angeboten werden? All das und noch mehr erfahren Sie im Podcast.
Quellen:
Brenner EJ et al, Gastroenterology 2020;159:481-491.e3.
Yousaf A et al, J Am Acad Dermatol 2021; 84:70-75
Nach einer Diagnose von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen kann auch die Psyche in Mitleidenschaft gezogen werden. Wie Sie Ihre Erkrankung besser annehmen und die Freude am Leben zurückgewinnen können, wann Psychotherapie helfen kann und warum Selbsthilfegruppen wichtig sind, besprechen wir in unserer zweiten Folge. Mit dabei sind wieder die CED Experten Univ. Prof. Dr. Clemens Dejaco (Wien) und Dr. Thomas Haas (Salzburg).
In der dritten Folge sprechen unsere Expertinnen OÄ Dr. Sonja Gassner (Salzburg) und Diätologin Maria Benedikt (Salzburg) über den Stellenwert der Ernährung bei CED. Was wir essen hat nicht nur Einfluss auf unsere Stimmung, sondern auch auf unseren Körper. Wieviel Einfluss die Ernährung auf eine chronisch entzündliche Darmerkrankung hat, ob Ernährung den Grad der Symptome verbessern kann und wie Sie für sich die richtige Ernährung finden können, erfahren Sie im Podcast.